Man soll ja Briefe, die man aus unschönen Anlässen schreibt, immer noch einen Tag liegen lassen. Damit nicht gar so viel Groll in ihnen steckt, sei er auch noch so berechtigt oder verständlich. Hier auf dem Schiff müssen ein paar Stunden reichen. Aber der Reihe nach.

Wir brechen entspannt gegen 11.30 Uhr auf. Ich habe vorher noch Öl nachgefüllt – die Flascher ist jetzt leer, wieder ein Teil weniger. Und beide Ketten nachgespannt. Die Maschinen machen einen guten Eindruck, auch nach den über 6.000 km, die hinter ihnen liegen.

Wir fahren in die Nähe der Karl Johan gate zu einer Bakeri und nehmen ein kleines Frühstück. Kurz vor 13 Uhr wollen wir zum Fährkai fahren, allerdings führt uns google erst einmal im Kreis herum. Überall gesperrte Straßen und Baustellen. Ein beherztes „Jetzt fahre ich mal ein paar Meter nur in eine Richtung …“ führt uns aus dem Kreisen heraus und nach kurze Zeit zur Fähre.

Checkin geht schnell und freundlich. Dann ein bisschen Warten, und schon stehen wir am Bug des riesigen Schiffes und warten auf Einlaß. So ein großer Kahn. Deutlich größer als das Hurtigruten Schiff. Wir können bald einfahren, die Motorräder werden gesichert und wir marschieren mit unserem Handgpäck Richtung Kabine.

Aber dann im Inneren des Schiffes. Der erste Eindruck ist verheerend. Das hier ist keine Fähre, mit der man Menschen und Fahrzeuge sicher und halbswegs ohne Beulen übers Meer befördert. Sondern ein schwimmende Stadt, ein Mischung aus Hotel, Shopping Mall und Vergnügungsviertel.

Natürlich gibt es auch ein Sonnendeck, das aber sehr stark an den Teutonengrill auf Mallorca erinnert.

An der Rezeption formen zwei traurige Clowns aus Luftballons Tiere – der Andrang ist mäßig. Eine Figur wie aus Disneyland – Käptn Kidd – versucht, Kinder um sich zu sammeln.
In der Shopping-Meile drängen sich die Menschen, dabei hat das Schiff noch nicht einmal abgelegt. Es gibt einen Tax free Supermarkt. Man kann dort alles kaufen, unter anderem einen riesenhaften Grill.

Auf einem Schiff. Für Passagiere, die mit voll gepackten Autos oder zu Fuß unterwegs sind. Wir sind fassungslos.

Und tatsächlich schieben etliche Passagiere dort gefüllte Einkaufswägen, groß wie bei Aldi, heraus. Sie zerren diese, zusammen mit ihren Kindern, in einen der Aufzüge und fahren Richtung Kabine. Apropos Kinder.

Das Schiff hat mittlerweile abgelegt, draußen zieht die schöne Uferlandschaft des Oslofjordes vorbei.

Das Wetter ist wunderbar.

Das hält aber diverse Eltern nicht davon ab, ihre Kinder in der „Kids Corner“ unterzubringen.

Einer kleinen, fensterlosen Buchte, die mit diversen Plastikspielsachen – und natürlich einem Monitor, auf dem Tiere aus Afrika gezeigt werden, ausgestattet ist.
Diejenigen Passagiere, die es trotzdem wagen, die Umbauung zu verlassen und draußen zu sitzen, verfolgen nur zu Teilen das Auslaufen. Ein nicht zu kleiner Teil sitzt bei Bier und Burgern gut geschützt mittschiffs. Und bekommt vom Auslaufen ebensoviel mit wie die lieben Kleinen in der Kids Corner.

Es ist furchtbar. Nach dem wunderbaren Tag gestern, nach all den Begegnungen und Straßen im Norden jetzt so etwas. From bright side to dark side. Ich wußte zwar, dass das Schiff Einkaufsmöglichkeiten hat – aber wer rechnet denn damit? Der Transport verkommt hier zum Event. Wir wünschen uns zeitweise auf die Fähre nach Liepaja zurück – dort war es ehrlicher.

Welch ein Kontrast zu gestern, zu dem Floß von Heyerdahl. Wie groß kann der Abstand noch werden, den wir zwischen uns und die Welt da draußen bringen? Dieses schwimmende Monster ist so sehr Sinnbild dieser Krise, die uns gerade heimsucht. Ohne Verbindung nach außen zu wollen oder zu fordern stampft es durch die Landschaft, außen Stahl und Abgase, innen bunt und hohl.

Als ich das letzte Mal mit der Colorline gefahren bin, war das noch deutlich anders. Allerdings ist das auch schon ungefähr 10 Jahre her. Es gabe einen oder zwei Shops, ein Restaurant, eine Bar und ein Café. Fertig.

Ein Kollege hatte sich im Vorfeld gewundert, dass wir nicht durch Dänemark fahren würden. Es doch so schön. Ich hatte geantwortet, dass wir zum Einen die Zeit nicht haben, und zum Anderen Dänemark nicht so schön, eher langweilig sei, um da durchzufahren. Ich muss gestehen, ich hätte besser seinem Rat gefolgt. Jedenfalls habe ich heute beschlossen, mit der Colorline und dieser Art von Fähren das letzte Mal gefahren zu sein.

Und Internet ist natürlich nur gegen Aufpreis zu haben. Was auch sonst.

Meine Stimmung bessert sich langsam wieder, als wir beim „Italiener“ etwas essen, Jacob eine Pizza und ich Nudeln mit Scampi und Knoblauch. Dazu einen Chianti. Nicht so schlecht. Danach ziehen wir um, ganz noch oben und vorn und trinken noch einen Kaffee. Dort ist es ganz nett – verhältnismäßig – auch wenn die Klimanlage auf Weltuntergang steht, wie in Shoppingmalls allgemein üblich.

Schließlich landen wir auf dem Sonnendeck mit Buch und Liege. Es hat sich deutlich geleert, wahrscheinlich weil es windiger geworden ist.

Wir lesen ein wenig, schlafen ein wenig und lassen den Abend beim Spiel England gegen Kroatien ausklingen. Für jetzt und heute Abend ist das OK, Aussteigen geht halt nicht.

Morgen Vormittag sind wir in Kiel. Wir werden dort irgendwo tanken – wieder zu deutschen Preisen und dann, so der Plan, bis Hamburg fahren und im Schanzenviertel frühstücken. Das wird uns etwas trösten, so hoffe ich. Dann liegen noch einmal 3 Stunden Autobahn vor uns bis nach Göttingen. Letzte Übernachtung der Reise, normales Hotel, zwei Zimmer, keine Shopping Mall.

Breitengrad: 57° 0′ 32,6″ N – Längengrad: 11° 41′ 46,4″ O (23.27 Uhr)

http://maps.google.com/?q=57.00906,11.69622